pudelundpinscher
Andreas Grosz
Fahnenflucht mit der Lokalbahn
Prosa
Fadengeheftete Broschur, 128 Seiten, 17.6 x 13.2 cm
Schutzumschlag: Christian Macketanz
ISBN 978-3-9523273-0-2
28 Franken, 17 Euro
Juni 2007
Leseprobe
In seinen auf leise Art verstörenden, oft aber auch komischen Prosastücken spürt Andreas Grosz die Gegenwart des Befremdlichen und Irrealen in unserer scheinbar fest installierten Welt auf – eine unheimliche Lokalbahnfahrt unter die Oberfläche der Normalität beginnt. Mit wertungslosem Staunen schildern seine Figuren, was ihnen widerfährt.
Einer zettelt versehentlich einen Krieg an, eine Soldatin desertiert mit der Nostalgiebahn, eine Leiche dient als Schatztruhe, ein pensionierter Lehrer schläft in seinem Katheder, ein Dachdecker lernt fliegen, Ludwig XVI. erscheint im 20. Jahrhundert an einem Maskenball – von solchem und Ähnlichem handeln diese Geschichten. Viele spielen in Kindheit und Jugend, und es ist darin von Liebessuche und Liebesenttäuschung die Rede.
Die insgesamt 39 Prosastücke sind vier Stimmen zugeordnet. Jedes kann für sich stehen, ist aber mit den anderen durch inhaltliche oder motivische Bezüge vielfältig verbunden. Allen gemeinsam ist die schlichte Sprache und »das Verlorensein in der verwirrenden Gleichzeitigkeit von [...] ›Realität‹ und ›Imagination‹«. (Bernhard Heinser)
»Ein Traumgänger ist Andreas Grosz, wundersam entfernt von jedem kruden Realismus, auch wenn sich fast alle seiner Prosaskizzen vorerst in der Wirklichkeit verankern. [...] Grosz berichtet [...] in ernsthaftem Ton und gestattet sich wie der wahre Komiker kaum ein Augenzwinkern, aber natürlich steckt in seinen Merkwürdigkeiten mehr als Witz allein - es blüht dezent der Aberwitz. Seine Sprache fasst Szenen und Gestalten genau ins Auge, hält sich knapp und erzeugt sofort die eigenartige Atmosphäre, in der alles möglich zu sein scheint.«
Beatrice Eichmann-Leutenegger in der »Neuen Zürcher Zeitung«
»Eine bekömmliche Lektüre, denn der Autor hat ein feines Sprachgefühl.«
Markus Mathis in der »Neuen Luzerner Zeitung«
»Romantik ist etwas für Träumer. Ganz anders dagegen ist die Realität. In der kindlichen Fantasie freilich können sich die beiden unterschiedlichen Sphären zu einem skurrilen Gemisch aus Wahn und Wirklichkeit vermengen. Die Erzählerfiguren von Andreas Grosz wissen damit umzugehen. Die Prosa des 1958 geborenen und in Unterschächen lebenden Autors ist ein überraschend stimmiger Reigen aus kleinen Erzählstücken, die untereinander vielfach vernetzt sind. Das Treiben seiner Figuren unterliegt einer monumentalen Vergeblichkeit, die jeden euphorischen Elan schon im kleinen Keim erstickt. Die zarte Absurdität von Grosz' Geschichten beruht auf einer sprachlichen Einfachheit und Gelassenheit, die es erlaubt, dass sich Traum und Realität reibungslos miteinander vertragen.«
Beat Mazenauer im »Kulturmagazin«
»Es ist Sommer, es ist Sonntag, und eine Familie − Vater, Mutter und zwei Kinder − unternimmt einen Ausflug an einen See: die Ich-Figur, die davon erzählt, soll schwimmen lernen. Es kommt nicht so weit, es kommt ganz anders. Am Ende wird die Ich-Figur, die an diesem Tag nicht schwimmen lernen wollte, zuhause am Boden liegen und so tun, als müsse sie wohl ertrinken. Der Bruder wirft ein Kissen hinüber, das Kind ist noch einmal davon gekommen, gerettet.
Was ich nun eben sehr behelfsmässig und in kargen Umrissen nachgezeichnet habe, ist die erste Geschichte in einem Prosaband von Andreas Grosz. Und, zugegeben: es hört sich etwas schlicht an, was ich da in fünf karge Sätze umgepackt habe, ohne jede Raffinesse. Das Raffinierte an den Geschichten von Andreas Grosz lässt sich nicht ohne Verlust nacherzählen, es liegt in winzigen Details, in unerwarteten Schnitten, und nicht selten liegt es auch in dem, was sie sehr indirekt zu verstehen geben oder gar verschweigen. Geschickt ist allein schon, wie wir erfahren, dass die erzählende Ich-Figur in der eben erwähnten Geschichte ein Mädchen ist, wir erfahren es ganz nebenbei. Man muss gut aufpassen, hier zählt jede Kleinigkeit.
Fahnenflucht mit der Lokalbahn heisst der Band, und schon der Titel lässt vermuten, dass es dahinter wohl ungewöhnlich zugehen muss. Das ist auch so. 39 mal gehen die Geschichten anders aus, als zunächst erwartet. 39 mal aber beginnen die Geschichten in scheinbar vertrauten und harmlosen Gefilden. Man glaubt die Kulissen zu kennen aus der Kindheit, aus der Jugend. So ganz ähnlich war es doch bei mir, denkt man sich. Man erinnert sich an die Ängste und Phantasien, die einen als Kind belagerten, an die kleinen Mutproben als Jugendlicher, an Liebesschwüre, und dass man dem Lehrer selbst in der Freizeit noch über den Weg laufen musste, war zu keiner Zeit besonders toll, genau wie hier. Immer wieder fühlt man sich in diesen Geschichten an etwas erinnert aus der eigenen Biographie − und nun erzählen diese Geschichten doch etwas ganz anderes. Es kann bei einem selbst doch nicht so zugegangen sein, so nicht. So hätte es aber vielleicht sein können. Zumindest ähnlich, wenn auch ganz anders ähnlich. Und schon ist man in diese Geschichten verwickelt und verstrickt.
Die Geschichten, die Andreas Grosz erzählt, sind nicht vom Leben abgeschrieben − sie nehmen einfach soviel Realität, wie sie brauchen, um sich von dieser wieder loszusagen. Um das zu erzählen, was auch möglich wäre, was die Wirklichkeit aber nie zu geschehen erlaubte − vielleicht auch, weil die Wirklichkeit in ihnen zu deutlich erkennbar würde.
Es sind köstliche Geschichten, 39 an der Zahl, wie gesagt, alle ein bisschen schief gewickelt, alle so, als würden Träume erzählt, in einer Logik, die bekanntlich nur der Traum kennt. Und dennoch scheinen sie keinen Moment lang die Bodenhaftung zu verlieren, das ist das Verblüffende. Gerade darum können sie so schön abheben, so schön wegtreiben, und gerade darum will man mehr davon. Sie schlüpfen von einer Szene in die nächste, von einer Rolle in eine vollkommen andere − und bewegen sich trotzdem auf einem engen Feld. Nicht anders als das Gedächtnis, das uns immer wieder Streiche spielt, indem es die vermeintliche Erinnerung ständig ausbaut und umbaut und in neuen Farben streicht und jedesmal ernsthaft behauptet: So war es. Eine Geschichte darf immer behaupten, dass es so war, denn die Vergangenheit ist etwas Unbeständiges, sie kann ja auch anders ausgesehen haben, man muss es eben nur behaupten.«
Martin Zingg am 9. August 2008 in Walenstadt anlässlich einer Lesung
Der Autor:
Andreas Grosz