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Vera Schindler-Wunderlich
Da fiel ich in deine Gebäude
Gedichte

Fadengeheftete Klappenbroschur, 92 Seiten, 17.6 x 13.2 cm
Umschlaggestaltung: Stefan Steiner
ISBN 978-3-906061-10-8
28 Franken, 23 Euro
November 2016
Leseprobe


Ihr erstes Buch, der Gedichtband Dies ist ein Abstandszimmer im Freien, machte Vera Schindler-Wunderlich auf einen Schlag bekannt. Vom Bundesamt für Kultur wurde sie dafür 2014 mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet.
Nun legt die Autorin ihren zweiten Lyrikband vor. Sie dürfte damit bestätigen, was ihr Debüt schon erkennen ließ: dass sie ein ungemein feines Gehör und Gespür für die Klänge und Abgründe der Sprache hat und eine aufmerksame, sensible Beobachterin der Zeitläufte ist. Sie hat »das Auge einer Dichterin, das Abstandsauge« (Lioba Happel), kommentiert aber nicht vom Schreibtisch aus, sondern reflektiert immer auch, welche Rolle sie selbst im alltäglichen Geschehen mit seinen Schönheiten, Schrecken und Ambivalenzen spielt: als Mensch, als Geschöpf, als Schreibende.

»›Seetüchtig oder ländlich?‹
Ein wahres Kontrastprogramm hat sich diese Autorin vorgenommen. Im realen Leben arbeitet die 1961 geborene Vera Schindler-Wunderlich als Redaktorin und Protokollführerin des eidgenössischen Parlaments. Als Dichterin schreibt sie eine Lyrik, die sich ungemein spielerisch gebärdet. Zwar geraten ab und zu Vokabeln aus der Terminologie der amtlichen Dokumente in das Wortreich der Lyrikerin, aber bald einmal treiben sie es bunt und entführen uns ins Land einer grenzenlosen Fantasie. Die Frage ›seetüchtig oder ländlich?‹, die eines der Gedichte stellt, lässt sich vor diesem Hintergrund unschwer beantworten. Wer ein anarchisches Gen in sich trägt, wagt sich auf den Ozean der Wörter und treibt nur zu gerne weg aus der Domäne der Realprosa.
Überraschende Wortfindungen
Es verhält sich ähnlich wie im Umgang mit moderner Musik oder Malerei. Erwartet man von diesen Gedichten formulierbare Inhalte, glaubt man sich geprellt. Lässt man sich hingegen auf Rhythmen und Wortbilder ein, ohne am Ende eine verständliche Aussage zu fordern, ist man gut beraten. Vera Schindler-Wunderlich spielt mit der Sprache, sei dies mit Binnenreimen (›du willst Schokolade und Gnade‹), Kurzdialogen oder Anklängen an literarische Vorbilder – wobei besonders Anleihen aus dem Alten Testament eine Rolle spielen.
Sie entwirft surreale Welten, in denen die Fantasie jubiliert und nicht Zusammengehörendes verschwistert oder völlig verschiedene Ereignisse gleichzeitig ablaufen lässt, so dass Innen- und Aussenräume zusammenfallen. Immer wieder stösst man auf überraschende Wortfindungen, so im Gedicht ›Von den Arten des Mundes‹, in dem ›Ja- und Bravmund, Luft- und / Buttermund, endlich Schlafmund‹ genannt werden. Merkwürdige Einfälle purzeln in Hülle und Fülle durch die Zeilen. Einer schiebt Wolken und fährt auf seinem Dreirad in den Jüngsten Tag, anderswo ist es ›der Duft eines Flusses‹, der die Zeilen der Lyrikerin vorantreibt. Und diese lässt sich von vielem anstiften: von der Angst vor Gewaltakten, von der Befindlichkeit des Menschen in heilloser Zeit, aber auch von Bildern europäischer und japanischer Künstler.
Immer behauptet sich die poetische Sprache als autonome Kraft. Bändigend wirkt dagegen in diesem Reichtum eine deutlich rhythmische Formung. Und man glaubt es vielleicht nicht, aber es gibt einiges zu lachen, wenn sich die Autorin etwa dem Problem der Arterhaltung zuwendet und in einem Heiligen ebenfalls dieses Bemühen entdeckt: ›Selbst Sankt Martin wollte / seine Martinsart erhalten, freute sich / mit halbem Mantel / zitternd schon auf seine / Marke . . .‹«
Beatrice Eichmann-Leutenegger in »Der Bund« vom 26. November 2016

»Schindler-Wunderlich feiert das überraschend Evokative in ihren Gedichten, indem sie präzise beschreibt und zugleich das Beschriebene bedeckt hält. ›So wird's erzählt (wir hoffen, / dass es stimmt)‹.
Wie ließe sich über Politisches, Amtliches, Öffentliches dichten? Vera Schindler-Wunderlich gibt darauf Antwort auf eigenwillige Weise mit zuweilen verblüffenden Bildern. In ihren rund 50 Gedichten fallen zumindest dem Schein nach poesieferne Begriffe ins Auge: ›Staatsrechnung‹, ›Personenrecht‹, ›Wechselkurs‹, ›Nicht wahr, Geld‹ lauten überraschende Überschriften. Unter letzterer formuliert die Autorin auf vierzehn verdichteten Zeilen eine kryptische Geldtheorie, die der monetären Realität verräterisch nahe kommt.

›Geld ist nicht Geld, doch Quid pro quo bleibt wahr:
Muh will Ablass, Schuld bleibt updatebar.‹«
Beat Mazenauer auf »viceversaliteratur.ch«

»Wer in den Gedichten von Vera Schindler-Wunderlich liest, wird belohnt mit einem Ausflug in eine reiche Wörterwelt. Wörter verändern sich, spielen mit ihren eigenen Mutationen und mit der Vorstellungskraft des Lesers. Wie in einem Spiegelkabinett scheinen Bilder plötzlich verwandelt, erschreckend oder erfreulich, man kann sich nicht sicher sein. Und wie bei einem Gang durch das Spiegelkabinett erkennt man unversehens die eigene Nase, den Buckel des Nachbarn oder eine bekannte Gestalt wieder […] Wir sind verwirrt von der Fülle und der Vielfalt der Bilder, gezwungen, näher hinzuschauen, nach Bekanntem und nach Verwandtem zu suchen. Die Welle von Verstehen, die uns schließlich mit sich trägt, lässt sich nicht auf einzelne Aussagen reduzieren. Sie bildet vielmer ein polyphones Gesamtwerk, das jeder von uns für sich selbst vollendet, indem er sich darauf einlässt.«
Susanne Mathies in »orte. Schweizer Literaturzeitschrift«, Nr. 191, Mai 2017


Die Autorin:
Vera Schindler-Wunderlich

 

CHF 28.00