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Dieter Zwicky
Hihi – Mein argentinischer Vater
Erzählung

Fadengeheftete Klappenbroschur, 168 Seiten, 17.6 x 13.2 cm
Umschlaggestaltung: Martina von Schulthess
Mit der »Stanser Rede für Dieter Zwicky« von Werner Morlang
ISBN 978-3-906061-09-2
28 Franken, 23 Euro
September 2016
Leseprobe

SCHWEIZER LITERATURPREIS 2017


Vor – im biografischen Sinn – unermesslich vielen Jahren hat Zwickys leiblicher Vater eine konkrete Berufsofferte aus Argentinien ausgeschlagen und mit ihr gleich einen gesamten Lebenskontinent für die Familie. Das Buchprojekt Hihi weint dieser vertanen Chance offenkundig nicht nach; vielmehr lacht es über die ausgekochte Unmöglichkeit, Südamerikanismen als Vaters Leben irgendwie organisch eingewachsene Realitäten mehr als bloss ahnen zu können.
Hihi – Mein argentinischer Vater überträgt der Sprache das vielleicht unzumutbare Geschäft, Ungelebtes darzustellen. Ein Vater, den es so nicht gibt, übersiedelt nach Argentinien (und für einen beinahe buchlangen Weekendausflug gleich weiter nach Uruguay) und überantwortet seinen Sohn, den es auch als Autor nicht gibt, der gnadenlosen Freiheit, vom noch unerfundenen Leben in der Pampa (»Prärie«) einigermaßen ausführlich zu berichten.
Ist dieses Leben in der Prärie das neue, das wahre, das geschönte, das unverschämte Leben?
Ist der Sohn des Höngger Prokuristen mit Fliehkraft bis nach Buenos Aires und Montevideo überhaupt ein geborener Sohn oder ein geborener Autor?

»Beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt wurde Dieter Zwicky mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet. Seine Erzählung ›Los Alamos ist winzig‹ gefiel durch ihre konzentrierte Bedachtsamkeit. ›Hihi – Mein argentinischer Vater‹ bestätigt das Urteil mit einer sehr eigenwilligen Familiengeschichte.
Das ›Was wäre wenn‹ ist der universale Antrieb, um jene Leerstellen zu füllen, die die Wirklichkeit hinterlässt. Was also wäre, wenn Vater die Einladung nach Argentinien angenommen hätte? Diese Frage stellt Dieter Zwicky in seinem neuen Buch und gerät darob selbst gehörig ins Schmunzeln. […]
Fantasien sind Schäume: luftig und flüchtig. Das spiegelt sich in Dieter Zwickys Schreibweise, die sich weniger an prosaischen Fakten als an der poetischen Potenz des Erfindens orientiert. Er erzählt keine stringente Handlung, sondern setzt lose Sätze oder kurze Absätze hintereinander. […]
Eine gute Geschichte muss nicht stimmen und schon gar nicht wahr sein. Die Freiheit ist das Salz allen Erzählens und Munkelns. Die harten Fakten verlieren darob ihre Festigkeit. Sie werden weich. Argentinien liegt gleich neben Namibia und der Gin kommt aus ›urigen botswanischen Townships‹ – der beste, aber auch tödlichste, sagt man. […]
Dieter Zwicky liebt die sprachlichen Volten und narrativen Krümmungen. Seine Texte müssen mit Geduld gelesen werden: Satz für Satz mitsamt allen Leerräumen dazwischen. Diese sind es, die dem Text Halt verleihen und seine Widerspenstigkeit bewahren. In ihnen entsteht der typische ›Zwicky-Sound‹.«
Beat Mazenauer für den »Schweizer Feuilleton-Dienst (SFD)«

Die Geschichte? ›Nun ja, das ist schwer zu verstehen‹
Wer von einer Erzählung erwartet, dass sich eine zusammenhängende Geschichte verfolgen lässt, wird schon bald etwas ratlos bei der Lektüre innehalten. Schon beim Titel fangen die Fragen an: Kichert da einer, bevor er spricht? Oder ist ›Hihi‹ der Name des argentinischen Vaters? Auch beim Weiterlesen stellen sich Fragen über Fragen – die Stirn der Leserin wäre eine einzige Falte, würde ein Lächeln oder Lachen sie nicht immer wieder glätten. Wer läse nicht mit Vergnügen von den Vorzügen des mageren Platarinds (›Fleischbrühe auf Beinen! Rrhh!‹) oder erfreute sich nicht am nach roten Beeren süchtigen Namibwiesel, einem ›sportlich gebauten, attraktiven, wendigen Kleinreh mit dickem Fell‹ und ›Kopfgesang‹?
Immerhin dies: Offenbar ist der Vater des Erzählers nach Argentinien ausgewandert. Dort schläft er, steht auf, isst, singt, lacht, telefoniert, schreibt – es scheint ein speziell lebhafter, energiegeladener Mensch zu sein. Viele Dinge und Handlungen, die genannt werden, bleiben rätselhaft: was hat es mit dem zuckersüssen Saft auf sich, der ›Vater die Rasur ersetzt‹? ›Nun ja, das ist schwer zu verstehen‹ gibt der Erzähler zu und versucht es gleich nochmals:
Vielleicht so:
Vater riecht nach Fleisch und nach Haar.
Vater lächelt.
Er stinkt ein wenig.
Er lacht laut, hämisch.
Hämisch!

Der doppelte Vater – und die doppelten Kinder
Der argentinische Vater berichtet von seinem Leben, am Telefon und in Briefen. Er skypt vielleicht auch, denn da taucht seine Freundin Alicia im Gesichtsfeld auf – in gelben Unterhosen. Diese Unterhosen zieren übrigens als zweifaches Miniaturbild den Buchumschlag, den Martina von Schulthess wunderschön gestaltet hat.«

Ruth Gantert auf »viceversaliteratur.ch«

»Dieter Zwicky macht es sich und uns nicht einfach. Warum? Weil er ein wahrer Dichter ist. Widerständig, eigensinnig, kompromisslos. Auch in seinem fünften Prosaband zeigt er sich uns als Autor, für dessen Stil es keinen Vergleich gibt. In kerningen, kurzen, abschnittweise gegeneinander abgesetzten Sätzen erzählt er von seinem Vater und von sich selbst. Dabei wird alsbald klar, dass wir uns nicht in jener Sphäre bewegen, die unsere Schulweisheit als Realität bezeichnet. Wir tauchen ein in eine Welt magischer Imagination. Diese hat aber nichts Esoterisches. Sie bleibt geerdet im sinnlichen Empfinden. Farbig. Anschaulich. Bisweilen derb. Satz für Satz bohrt sich dieser Text in unsere Gedanken. Wir geraten in eine sich bald locker akzelerierende, bald quälend retardierende Sprachschraube, die uns nicht mehr loslässt. Der ratlose Verweis einer denkfaulen Literaturkritik auf Rober Walser, der zu Zwicky gehört wie das Amen in der Kirche, könnte nicht falscher sein. Walser, der Sanfte und Listige, mäandert, spielt, entflieht. Zwicky stanzt und insistiert. Er hämmert seine Sätze in unser vom ubiquitären Entertainment beschädigtes Bewusstsein. Mit Schlägen vor den Kopf weckt er uns auf.«
Manfred Papst in der »NZZ am Sonntag« vom 13. November 2016

»Dieter Zwickys Text orientiert sich weniger am Prosaischen als am Lyrischen. Er erzählt keine stringente Handlung, sondern setzt lose Sätze und kurze Absätze zueinander. In ihren Lücken und Übergängen geschieht, was den Zwicky-Sound ausmacht: das Innehalten nach jedem Punkt, bevor der neue Satz anhebt. Dieses Schriftbild regt förmlich eine laute Lektüre an, bei der die mal heitere, mal grimmige Komik, der unverdorbene Sprachwitz am schönsten erlebbar werden und die Lektüre zum speziellen Vergnügen machen. […] Keiner verstand diese verzwickte Literatur so gut wie der Lektor Werner Morlang, der mit dem Autor auch an diesem Buch gearbeitet hat. Doch er verstarb am 18. November 2015. Ihm ist das Buch auch gewidmet: ›Für Werner, der jetzt schweigt‹«.
Beat Mazenauer in »041–Das Kulturmagazin«, Dezember 2016

»Abenteuerlust ist dringend geboten, wenn man sich auf Dieter Zwickys neueste Erzählung ›Hihi – Mein argentinischer Vater‹ einlassen will. Denn diese löst vieles aus – Ratlosigkeit, Euphorie, Kopfschmerzen, Lachtränen: und zwar alles aufs Mal. Ausgangspunkt der Erzählung ist, wie der Autor insistiert, ein Jobangebot aus Argentinien, das Zwickys leiblicher Vater einst ausschlug. Hier kommt das ›Hihi‹ des Titels her. Denn Zwicky macht sich in seinem neuen Buch einen Heidenspaß daraus, seinem Vater ein argentinisches Leben zu erfinden. Absurd komische Momente und Formulierungen dominieren, beispielsweise, wenn Zwicky sich vorstellt, den literarischen Vater ›anzuheben und flugs in den nächsten Mauerwinkel zu klemmen; und ihn dort einfach zu lassen!‹ Es sickern aber auch viele liebvoll gezeichnete Vaterbilder durch, die sich zur Hommage verdichten. ›Lächelt Vater? Atmet er überhaupt? Ja, er lächelt, über Dinge. Über Dinge ohne jedes Gewicht.‹ Diese gewichtslosen Dinge – das fängt bei den zitronengelben Unterhosen auf dem Umschlag an! – sind die wahren Protagonisten des Buches, der Kern von Zwickys Prosa. Solche in den unverwechselbaren Zwicky-Sound gehüllte Banalitäten bereiten einem zweitweise Kopfschmerzen und erhöhen die Gefahr, sich vollends in diesem zugleich mit dem Tele- und Mikroskop geschriebenen Buch zu verlieren. Auch die skurrile Zusammenhangslosigkeit des Buches muss man aushalten können. Und wollen. Geduld und Aufmerksamkeit sind unabdingbare Voraussetzungen für die Lektüre von ›Hihi‹. Vor allem Zwickys durchkomponierte, teils unabsehbar lange Satzgebilde überfordern bei allzu routinierter Lektüre. Aber lesen wir nicht darum – um mit Leseroutinen zu brechen?«
Delia Imboden in »literarischer monat«, Dezember 2016 – Februar 2017

»Von einem gleichsam probeweise ausgewanderten Vater erzählt Dieter Zwicky in ›Hihi – Mein argentinischer Vater‹, und natürlich erzählt er von mehr und allem anderen. Dieter Zwicky, dem gewieften Autor von Texten schrägen Zuschnitts, ist manches zuzutrauen, nicht aber ein solides Interesse an herkömmlich erzählten Kausalitäten. Wenn er sich gelegentlich darauf einlässt, dann nur zum Schein, und nie lange. Als erzählerische Finte. Denn mit jedem neuen Abschnitt seiner Erzählung setzt sein Ich-Erzähler alles bisher Vorgebrachte wieder aufs Spiel.
Vertrautes kontaminiert er mit einer überbordenden Phantasie, und wenn es ihm danach ist, erfindet er das angeblich Vertraute. Etwa mit einem beiläufigen Satz wie diesem: ›Die Suppenlauchstreifen sind fingerbreit und exakt dreiundzwanzig Zentimeter lang – Urmass Argentiniens.‹
Wie diese fast schon apodiktische Sentenz ist auch alles andere in dieser Erzählung frei erfunden. Und dennoch ist alles sehr wahr: weil es da geschrieben steht. Als Teil einer Erzählung, die sich kraft der Imagination alles gestattet und das herbeiholt, was sie an erfundener Wirklichkeit gerade braucht. Als Teil einer Forschungsreise auf dem Feld der Literatur, mit offenem Ausgang. Mal stützt sich der Erzähler vorgeblich auf den Bericht des Vaters, mal weiss er selber, was dieser gesehen oder gedacht hat, und immer ist es überraschend.
Die erzählte Welt wird in grossem Tempo – und keineswegs systematisch – ausgeweitet, sie wird mit jeder Seite des (sehr schön gestalteten) Buches schräger und bunter.
Den schmalen und zugleich dichten Band beschliesst eine Rede auf Dieter Zwicky, die der Kritiker Werner Morlang im Sommer 2015 wenige Monate vor seinem Tod gehalten hat. Wie die vier anderen zuvor hat Werner Morlang auch dieses Buch von Zwicky lektoriert, und seine berührende Ansprache gibt nun eine ausgezeichnete Einführung in das Werk des Autors.«
Martin Zingg in der »Neuen Zürcher Zeitung« vom 24. Dezember 2016

»Zwicky ist ein, laut sei's gesagt, unschweizerischer Autor. Weil er das Bleischwere der Sprache, so wie einst der verbalerotisch andersgeartete Hermann Burger, in einen Fernfliegerteppich verzaubert, weil sich Zwicky hochschraubt in den Kosmos der Fantasie und zeigt, wie das Erfinden gehen kann, wenn man es zulässt, im Sprechen, im Schreiben.
Dass der Verlag dem schön gestalteten Paperback die Stanser Rede für Dieter Zwicky des Literaturwissenschafters Werner Morlang beigegeben hat, ist eine noble Geste. Nicht nur ist es wie so oft bei dem bärenhaft sanften Buchgelehrten ein gewitzter Kurzessay, sondern zudem eine schöne Hommage, da Morlang, der 2015 verstarb, lange die Bücher Zwickys als Lektor begleitete.«
Alexander Kluy in »Der Standard« vom 11. Januar 2017

»Wenn man diesen Roman zu Ende gelesen hat, fängt man am besten gleich nochmals von vorne an. Ein sinnlicher sprachlicher Genuss ist er zwar schon beim ersten Lesen. Aber erst beim Wiederlesen klären sich die Story, all die assoziativen Kurzsätze, die surrealen Bilder und schwindelerregenden Wortkaskaden. Denn einfach macht es uns Dieter Zwicky nicht. Das schreibt auch die Jury der Schweizer Buchpreise: ›Seine Bücher appellieren an die Geduld, und zugleich an den Spieltrieb.‹ Wenn Literatur ein kreatives Feld für Neugierige ist, dann sollten Literaturfreunde dieses Buch lesen.«
Hansruedi Kugler im »St. Galler Tagblatt« vom 17. Februar 2017

Audioaufnahme der Buchpremiere im Literaturhaus Zürich (22.9.2016)

 

Der Autor
Dieter Zwicky

 

CHF 28.00